Während in Amerika bereits verstärkt journalistisch «gebloggt» wird, halten sich die deutschen Redaktionen noch zurück. Sie verpassen damit womöglich einen wichtigen Trend.
Den Tag beginnt man am besten mit der «Daypop Top 40». Ein Blick auf diese lange Liste der Spezialsuchmaschine für Weblogs und Nachrichtenangebote zeigt, worüber man online derzeit heiß diskutiert. Es sind die Links, die die ständig wachsende Netztagebuchgemeinschaft auf der ganzen Welt am häufigsten «bloggt», also hinein ins Web gestellt hat. Beschickt werden die Weblogs mit flott installierten, aber inzwischen äußerst mächtigen Mini-Redaktionssystemen. Inzwischen schaffen es die Themen aus der Daypop-Hitlist, die neben normalen Meldungen aus regulären Medien auch viele Links zu reinen Netz-«Eigengewächsen» enthält, in Fernsehnachrichten. Die «Warchalking»-Idee des Briten Matt Jones, bei der man offene Funk-Zugänge in das Internet mit Kreide markiert, lief in den renommierten Haupt-«News» der BBC.
Internet als riesiger Spartenkanal
Die Fragmentierung der Medien wurde mit dem Internet nochmals stark beschleunigt. Sprach man früher nur von Spartenkanälen im Fernsehen, die uns vom Angeln bis zum speziellen Hausfrauenkanal mit Spezialinteressensgebieten versorgen sollten, kann man sich im Web inzwischen seine ganz eigene Medien-Realität zusammenstellen. Auf dem letzten Chaos Communication Congress, dem Treffpunkt der deutschen Geek-Szene in Berlin zwischen Weihnachten und Neujahr, konnte man in Debatten und Vorträgen, die sich zunehmend weniger technisch, sondern auch abstrakter mit der Zukunft der Informationstechnologie beschäftigen, verstärkt medienkritische Töne heraushören.
Kein TV, Alternativ-Medien, Weblogs
Die Konsumenten-Avantgarde sieht demnach in etwa so aus: Sie schaut kein TV mehr, erhält ihre Nachrichten von Alternativ-Medien wie «Slashdot» oder «Indymedia» und fröhnt ansonsten der im Internet groß angeschwollenen Audio- und Video-Piraterie. Auf Storys in den anderen Medien wird diese Zielgruppe durch Weblogs hingewiesen. Und wie weit ist dieser «Mediennutzer der Zukunft» noch vom Mainstream entfernt? Weniger weit, als man allgemein und insbesondere bei den Verlagen und TV-Kanälen annimmt. Das zeigt eben auch die Weblog-Bewegung in den USA, die inzwischen auch große Medien wie «Washington Post» oder «San Jose Mercury News» erreichen konnte.
Genügend Anknüpfungspunkte vorhanden
Den meisten Bloggern ist es egal, wo eine Quelle im Netz steht. Sie haben womöglich Präferenzen, welche Medienangebote sie dort lesen - doch das interessiert den User, der ja von Netztagebuch zu Netztagebuch springen kann, um die wichtigsten Neuheiten zu «scannen», eher wenig. Dem geht es vor allem um den persönlichen Touch, den eine Auswahl der Weblog-Nachrichten durch den Blogger erhält. Genau darum sind auch jene Experten-Weblogs so beliebt: Sie geben einen Einblick in die «Denke» der jeweiligen Persönlichkeit. Es wäre doch gelacht, wenn es da für Medien keine Anknüpfungspunkte gäbe. Man muss sie bloß erkennen - bevor man von der nächsten Welle überrollt wird.